Ich bin mit Björn Borg groß geworden, dem schwedischen Tennishelden der 1970er Jahre. Vermutlich hat er mich zum Tennisspiel animiert. Sein besonderer Spielstil (er galt als Revolutionär des Tennis), vielleicht aber mehr noch seine lange blonde Mähne haben mich – der Zeitgeist lässt grüßen – für ihn eingenommen. Mit dem konnte ich mich identifizieren! Lange blonde Haare hatte ich damals auch. Damit enden aber auch schon die Gemeinsamkeiten. Während mein Tennis nie über die Kreisklasse hinauskam, gewann er sage und schreibe elf Grand Slam Titel, darunter mehrmals die Australian Open. Neben dem Tennismekka Wimbledon waren es genau diese Australian Open in Melbourne, die für mich damals eine Art Mythos waren. Einmal dorthin fahren und live dabei sein – das wär’s!
Nun hat’s also geklappt, endlich! Schon in Indien habe ich uns Onlinetickets für die AO (wie sie hier abgekürzt werden) besorgt – aufs Geratewohl. Ein Viertelfinalspiel in der Rod Laver Arena sollte es mindestens sein und ein „Any 3 Day Ground Pass“, mit dem man sich auf dem Turnier- und Festivalgelände tummeln kann und Zugang zu den meisten der zahlreichen Plätze hat. Die sind übrigens nicht immer leicht zu finden in all dem Rummel drumherum. Denn die AO sind beileibe nicht nur ein großes Tennisturnier, sondern, wie heute üblich, auch ein riesiges Event mit Live-Musik, Public Viewing der Spiele aus den großen Arenen, unzähligen und überteuerten Gastronomie-Angeboten und Funparks. Und natürlich jede Menge Devotionalienhandel mit den üblichen Shirts, Käppis und allem, was der Mensch dringend zum Leben braucht…
King Roger is back!
Gleich am ersten Tag unseres Besuchs im Melbourne Park haben wir Glück. Wir wollten eigentlich nur herumstromern, erfahren dann aber, dass es noch Karten für Spiele in der Rod Laver Arena mit Roger Federer und Angelique Kerber gibt. Roger Federer, den ich wohl hier nicht vorstellen muss, ist zweifelsohne einer der ganz Großen des Tennis, eine ‚Ikone‘, wie sie hier sagen. Er, der schon 17 Grand Slam Titel gewonnen hat – darunter vier mal die AO – und unglaubliche 203 Wochen lang die Nr. 1 war, wird hier ehrfürchtig ‚The Maestro‘ genannt. Mittlerweile ist er 35 Jahre alt, spielt hier aber nach langer Verletzungspause wieder auf höchstem Niveau. Das bekommt dann der eine oder andere US-Boy zu spüren, der geglaubt hat, den ‚Tennis-Oldie‘ leicht besiegen zu können. Übrigens: Der gute alte Björn Borg hält ihn für den besten Tennisspieler aller Zeiten – und ich teile (natürlich in aller Bescheidenheit) seine Einschätzung. Egal, gegen wen er spielt, er spielt sein elegantes, ästhetisches Tennis, ist auch außerhalb des Platzes eine Persönlichkeit und sein Publikum feiert ihn begeistert, wo immer er auftritt. Ihn live zu erleben, ist schon große klasse.
Und die deutschen Tennis-Asse?
Und die Nr. 1 der Weltrangliste im Damentennis, immerhin letztjährige Gewinnerin der AO, Angelique Kerber, wie war sie? Sie war nur schwer ins Turnier gekommen, und hat an dem besagten Tag auch einen schweren Stand gegen ein andere deutsche Spielerin, Carina Witthöft. ‚Die Kerber‘ gewann zwar, irgendwie hatte ich aber den Eindruck, dass der letzte Biss in ihrem Spiel gefehlt hat. Mittlerweile ist sie ja leider ausgeschieden.
Dafür kamen andere deutsche Spieler hier groß raus, nämlich die beiden Zverew-Brüder. Der jüngere hat in einem packenden Match Andy Murray, die Nr. 1 des Welttennis, rausgeworfen. Danach war allerdings Schluss gegen einen anderen Großen im Tennis, Rafael Nadal. Gestern hat es auch den älteren von beiden, Mischa, erwischt. Er war schlicht chancenlos gegen – Roger Federer. Obwohl das wohl unpatriotisch ist, haben wie uns für den „alten Schweizer“ sehr gefreut.
Ein Turnier am anderen Ende der Welt
Übrigens war es ein Leichtes, aktuell an Karten für die großen Arenen zu kommen. Den Grund dafür erfuhren wir von Ben, einem tennisverrückten Tasmanier, der regelmäßig mit Freunden zu den AO fliegt. Er habe schon mehrfach versucht, Karten für Wimbledon zu bekommen – ohne Erfolg. Die seien ja schon lange im Voraus ausgebucht. Warum es in Melbourne anders ist, erklärt er so: „Allein Großbritannien hat schon 60 Millionen Einwohner*innen, dazu das nahe gelegene Kontinentaleuropa, alles voller Menschen. Ganz Australien hat aber nur 20 Millionen Einwohner*innen, und um zum Beispiel von Perth nach Melbourne zu fliegen, braucht es schon mehr als vier Stunden. Ganz zu schweigen von denen, die aus Europa oder Amerika kommen wollen…“ So plastisch erklärte uns Ben die Größe und Lage von „Down Under“. So gesehen – gut für uns!
Unser Fazit:
Die Australian Open, mit denen die Grand Slam Saison jedes Jahr beginnt, geben sich gerne als das fröhlichste, lockerste und entspannteste aller Grand Slam Turniere aus. Wir können das zwar nicht nachprüfen (Paris, Wimbledon und New York warten noch auf unseren Besuch). Aber wir können bestätigen, dass die ohnehin sportverrückten Aussies zu feiern verstehen und ungemein freundlich, unkompliziert und hilfsbereit sind.
Wir würden sehr gerne wiederkommen!